Nachdem sie sich im Krankenhaus hat durchchecken lassen, ist Xiao Ai wieder zu Hause. Außer den Schrammen im Gesicht, die behandelt wurden, und einzelnen Blutergüssen am Körper hat sie nichts Schlimmeres abbekommen und konnte am selben Tag wieder gehen.
Schon dort kamen Einzelne auf sie zu und gratulieren ihr. Es war ernst gemeint, keine Ironie, wie sie erst dachte. Ihr Kampf hatte die Menschen begeistert – trotz der Niederlage. Auch ihr Vater, der das Finale vom Krankenbett aus am Tablet gesehen hatte, war keineswegs enttäuscht von ihr. Sie habe alles gegeben, was sie konnte, habe nie aufgegeben, die viel erfahrenere Gegnerin an den Rand einer Niederlage gebracht. Eine würdige Tochter eines stolzen Vaters! Was das Geld angehe, müsse man eben weitersehen. Auch auf der Straße wurde Xiao Ai erkannt und angesprochen – was ihr ein wenig lästig war, sie irritiert, aber dennoch erfreut hat. Was wollen all diese Leute, sie hat doch verloren?
Xu Jia erzählt ihr am Telefon, dass die Schule am Bildschirm das Finale miterlebt und mitgezittert hat. Die Schulleiterin, die sie noch nach der Qualifikation als „Schandfleck“ hinauswerfen wollte, lobt sie jetzt in den höchsten Tönen und sieht sie als Werbeträgerin für ihre Anstalt.
Morgen wird sie auch wieder im Café bedienen. Yang Yun hat sich angekündigt, von deren Interview sie gehört hat. Xiao Ai freut sich darauf, die Freundin wiederzusehen. Das Wort hat sich in ihre Gedanken geschlichen: „Freundin“? Nach diesem Kampf? Sie muss schmunzeln.
Nach ihrem Sieg hatte Yang Yun sofort das Gespräch mit der Produktionsfirma und dem Management gesucht. Sie werde selbstverständlich alle laufenden Verträge erfüllen, neue aber nur eingehen, wenn ihr entscheidende Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt würden. Das bedeute vor allem, dass sie in Zukunft singen und boxen wolle. Ihr Kampf habe einen Hype ausgelöst, der zeige, dass die Fans bereit seien, ihr Boxen zu akzeptieren. Auch wenn es natürlich immer ein Risiko sei, einen einmal erfolgreichen Weg zu verlassen, wolle sie sich den Menschen zeigen, wie sie sei, und nicht, wie andere sie modelliert hätten.
Es ist nicht so sehr Yang Yuns Sieg im Finale – der war ja eingeplant –, sondern die Art, wie er zustande gekommen war, der Druck auf das Management ausübt. Und da ist das bestimmte, energische Auftreten der jungen Sängerin, das die Herren nicht gewohnt sind. Wollte man den derzeitig allseits beliebten Star nicht verlieren, musste man den Forderungen zustimmen.
Natürlich, das weiß Yang Yun, ist jeder Hype zeitlich begrenzt. Man kann ihn eine Zeit lang am Leben halten, doch irgendwann ist auch dieser Reiz vorbei. Das Risiko ist sie bereit zu tragen. Es ist ihr Leben, und das soll nicht nur von ängstlich gehüteter Sicherheit bestimmt sein.
Als Xiao Ai im Café bedient, kommt Yang Yun wie angekündigt vorbei, ohne Sonnenbrille und - ungeschminkt. Gespielt vorwurfsvoll sagt sie: „Schau, was du mit meinem Gesicht angestellt hast!“
Die Bedienung, die mehr abbekommen hat als die Siegerin, muss unwillkürlich lachen. Beide fallen sich um den Hals.
Sie setzen sich zusammen, auch wenn Xiao Ai immer wieder aufspringen muss, um Wünsche anderer Gäste zu erfüllen. Was hat die Sängerin ihr vorzuschlagen?
Zunächst einmal dankt diese ihr noch einmal überschwänglich. Erstmals in diesem Turnier habe sie sich ernst genommen gefühlt. Sie habe kämpfen müssen, um zu gewinnen, sei hart an der Niederlage vorbeigeschrammt, bedrängt von einer Gegnerin, die sich nicht davon beeinflussen ließ, gegen einen Star zu boxen. Gerade weil es so schwer war zu gewinnen, habe ihr das geholfen – beim Publikum und gegenüber dem Management.
Aber auch sie, die Verliererin, habe durch ihren herzhaften Kampf viel Sympathie gewonnen: das unerschrockene Mädchen von nebenan, dass sich dem Star entgegen stellt. Damit können sich viele identifizieren.
Was sage sie zu einem Revanchekampf in vier Monaten, der bestimmt große Beachtung finden würde? Der Erlös solle dann nur ihr gehören, genauer ihrem Studio – gleichgültig, wie der Fight ausgeht.
Xiao Ai möchte die Freundin voll Freude drücken, doch der Tisch zwischen ihnen behindert ihre Spontaneität. Dazu kommt die etwas unsichere Frage: Warum mache sie das? Welchen Vorteil habe sie selber davon?
Yang Yun erzählt ihr ihre Geschichte – soweit sie die noch nicht aus den Medien kennt – und verdeutlicht, wie schwer es für sie als Frau und Star in der Öffentlichkeit gewesen sei, als Boxerin anerkannt zu werden. Sie wolle mit ihr zusammen ein Zentrum für Frauenboxen aufmachen und denke, dieses Projekt sei überaus geeignet, Herrn Zhaos Studio wieder zu neuem Glanz zu verhelfen. Daher sei der erste Schritt, dass sie und ihr Trainer Mitglied des Studios würden. Allein schon das werde eine wirksame Reklame sein.
Der Handschlag des Einverständnisses wird nun zur gegenseitigen Umarmung. „Nenn mich Schwester!“
„Wir sind Schwestern.“
Yang Yun kontaktiert eine gute Bekannte, die für eine große Tageszeitung arbeitet. Sie soll eine Medienkampagne organisieren, die Menschen neugierig machen auf diesen Kampf der so unterschiedlichen jungen Frauen, des international bekannten Stars und des unbekannten Mädchens von nebenan. Die Schwierigkeit, aber auch der Reiz werde darin liegen, Freundschaft und Rivalität der Boxerinnen gleichzeitig zu betonen. Vor allem aber soll Xiao Ai bekannter gemacht werden, ohne dass sie ebenfalls die Last eines Stars tragen müsse. Und natürlich werde die Idee eines Frauenbox-Zentrums weiter entwickelt und der Öffentlichkeit erklärt.
Mit dem Fernsehsender legt Yang Yun einen Termin für den Revanche-Kampf fest. Die in ihrem Zweck festgelegte Prämie werde sich nach den Einnahmen richten, wahrscheinlich aber höher sein als beim ersten Mal.
Xiao Ai ist etwas besorgt gewesen, was ihr Vater zu dem Projekt sagen würde, doch er reagiert äußerst positiv. So weit seine Kräfte reichen, werde er sie dabei unterstützen. Sein Herzinfarkt und ihr unerschrockenes Auftreten im Turnier hätten ihm gezeigt, dass es Zeit werde für eine Wachablösung. Sollte sie „Zhaos Studio“ zu neuem Glanz verhelfen, sei er stolz auf sie, das sei er aber eigentlich schon jetzt.
Die Direktorin bedauert, dass sich Xiao Ai vom College abmeldet. Trotzdem werde sie werben: Unsere ehemalige Studentin…
Stattdessen lässt sich Xiao Ai von einem Fan, der sich im Rahmen der Pressekampagne gemeldet hat, im Privatunterricht Grundlagen der Unternehmensführung und des Rechnungswesens beibringen. Der Unterricht orientiert sich konkret an den Belangen des Studios und seiner künftigen Weiterentwicklung. Langweilige Theorie möchte sie nicht durchstehen.
Und sie trainiert, nach seinem Krankenhausaufenthalt auch mit ihrem Vater…
Yang Yun schießt Geld vor und lässt das Studio modernisieren und auf seine neue Funktion vorbereiten.
Und sie trainiert, natürlich mit ihrem Trainer...
