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An der Herausfordrung wachsen, Teil 4 (deutsch)

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An der Herausfordrung wachsen, Teil 4 (deutsch)
« on: January 23, 2024, 04:51:11 PM »
Die junge Frau mit der großen Sonnenbrille betritt wieder einmal das Café, diesmal allein, und bittet Xiao Ai, die Getränkekarte zu bringen. Diese tritt an den Tisch: „Guter Punch. Hier ist die Karte.“
„Es scheint, du hast mich längst erkannt.“ Yang Yun nimmt die Sonnenbrille ab, schiebt die Getränkekarte zur Seite. „Das war ein starker Kampf von dir. - Komm,  setz dich, lass uns ein wenig plaudern!“
„Wo ist heute deine Freundin, die dir immer Blumen schenkt?“ Xiao Ai hat sich gesetzt und schaut sie neugierig an.
„Das war meine Assistentin, und ich habe sie beauftragt, die Blumen zu kaufen. Ich muss gleich noch etwas Wichtiges erledigen, das kann nur ich alleine machen.“ Yang Yun sieht ihre Gesprächspartnerin an: „Im Grunde beneide ich dich.“
Xiao Ai reagiert erstaunt: „Ich weiß nicht, was man an mir beneiden sollte. Wir sind hier einfache Leute, die arbeiten, um leben zu können, und sich doch nur wenig leisten können. Du bist in aller Munde, die Menschen kennen und verehren dich. Was du haben willst, bekommst du auch. Bist du nicht glücklich darüber?“
„Die Unterhaltungsindustrie -“, beginnt Yang Yun, bricht aber ab. „Seit ich entdeckt worden bin, kann ich mir in der Tat alles leisten. Aber ich habe den Luxus mit meiner Freiheit bezahlt – kein Grund, mich glücklich zu fühlen.“ Mit einer Handbewegung zu ihrem Gegenüber: „Nur beim Boxen fühle ich mich wirklich frei. Ob ich gewinne oder verliere – ich verantworte selbst, was im Ring geschieht.“
„Ich verstehe“, entgegnet Xiao Ai, „die Vergangenheit liegt hinter dir, die Zukunft ist ungewiss, nur der Augenblick zählt.“
Yang Yun streckt ihr mit einem herzlichen Lächeln die Faust entgegen. „Dann wollen wir den Augenblick auskosten. Wir sehen uns im Finale.“
Xiao Ai erwidert die Geste, die Fäuste fügen sich zusammen: „Im Finale.“ Sie sieht ihr nachdenklich nach: Gar nicht so abgehoben und arrogant, wie sie sie sich vorgestellt hatte. Einen Moment lang hatte sie den Impuls gehabt, die andere zu umarmen. Etwas hielt sie davon ab, morgen würden sie aufeinander eindreschen.

Yang Yun überquert die Straße, betritt den Blumenladen. Die Besitzerin fragt sie nach ihren Wünschen. Es ist die ehemalige Schulfreundin, die von ihr im Stich gelassen wurde. Die Sängerin nimmt wieder ihre Sonnenbrille ab, verneigt sich vor ihr tief und entschuldigt sich. Dann geht sie schnell, lässt die Verkäuferin erstaunt zurück, zittert vor Erregung. Warum fällt ihr das so schwer, schwerer als einer Gegnerin im Ring zu begegnen? Aber ein Anfang ist gemacht…

In der Garderobe überreicht Onkel Ma in Herrn Zhaos Namen Xiao Ai den Boxermantel ihres Vaters. Diese Geste ist für sie Vertrauensbeweis und Auftrag. Jetzt ist sie für das Studio verantwortlich, als Vertreterin, vielleicht Nachfolgerin ihres Vaters.
Zunächst zeigt sie der Kamera in der Rückenansicht den Namenszug auf dem Mantel, dann betritt sie unter dem freundlichen Beifall der Menge mit konzentrierter Miene die Arena. Yang Yun, die unter dem lauten Jubel ihrer Fans eingelaufen war, erwartet sie schon im Ring. „Denk daran, du bist stärker!“, gibt der Trainer dem Star mit.
Xiao Ai greift an, doch Yang Yun weicht ihren Schlägen geschickt aus und übernimmt schnell selbst die Initiative. Sie drängt die Gegnerin in die Ringecke und lässt ein „Trommelfeuer“ von Schlägen auf sie los. Xiao Ai bleibt nur, ihren Kopf mit den Armen zu schützen und die Schläge abzublocken. Auch wenn es keine entscheidenden Treffer gibt, fühlt sie die Schwere der Schläge. Es sei ja erst die erste Runde, sagt Onkel Ma, um sie zu beruhigen, die Gegnerin werde sich verausgaben.
Davon ist in der zweiten Runde aber noch nichts zu sehen. Yang Yun treibt die Gegnerin vor sich her, diese ist bemüht, sich vor den Schlägen zu schützen. Ein gut platzierter Körpertreffer löst für einen Augenblick die Deckung, Yang Yun trifft die Schläfe, Xiao Ai sackt in sich zusammen, wird angezählt. Bei „Fünf“ steht sie wieder. Jetzt ist auch Yang Yun außer Atem.
Deren nachlassender Vorwärtsdrang ermöglicht es Xiao Ai in Runde drei, selber anzugreifen. Jetzt prügelt sie in der Ringecke auf den Star ein. Zwar kann dieser sich weitgehend verteidigen, bekommt aber einige feste Schläge mit, rettet sich mühsam in den Gong. Der Fight ist ausgeglichener geworden.
Yang Yun ringt nach Atem, wirft aber in Runde vier alle Kräfte in den Fight, greift jetzt selbst wieder an. Zwei Kopftreffer, rechts und links, zwingen Xiao Ai zu Boden. Bei „Acht“ stellt sie sich wieder dem Kampf, weiterhin im Rückwärtsgang. Sie ist sichtlich angeschlagen. „Werde ich verlieren?“, fragt sie Onkel Ma in der Pause. Daran dürfe sie nicht denken. Sie sei doch die Tochter eines Box-Champions, antwortet dieser. „Ich werde bis zum Tode weiter kämpfen!“, spornt sie sich selber an. Yang Yuns Trainer lobt seine Boxerin, das sei der beste Fight, den sie jemals gekämpft habe.
5. Runde! Die Kontrahentinnen zeigen deutliche Spuren des Kampfes, auch ihre Bewegungen sind langsamer geworden. So lange standen sie noch nie im Ring. Doch der Wille treibt sie nach vorne: Verlieren ist keine Alternative! Je gezeichneter die Boxerinnen sind, je länger der Kampf dauert, desto begeisterter und lauter geht das Publikum mit, gebannt von der Dramatik des Geschehens. - Yang Yun verfehlt die Gegnerin, diese trifft, der Star geht erstmals zu Boden. Mühsam richtet sie sich auf. „Steh auf!“, schreit ihr Trainer. Bei „Sechs“ torkelt sie noch, bei „Acht“ stellt sie sich dem Kampf. Beide boxen mit ihren letzten Kräften. Xiao Ai greift an, schlägt aber in die Deckung der Gegnerin. Diese flüchtet sich in die „Umarmung“, sie müssen getrennt werden. Die Sängerin duckt sich unter dem Schlag der Gegnerin, trifft selber voll deren Kopf, Xiao Ai geht zu Boden. Hoch!, sagt eine innere Stimme, doch der Körper reagiert nicht mehr, bringt es nur zu einem verunglückten Kriechen.
„… sieben, acht, neun, aus!“ - Ohrenbetäubender Jubel erfüllt die Arena. Die Fans feiern ihren Star, der sich als Sieger durchgesetzt hat. Yang Yun lässt sich überglücklich feiern.
Xiao Ai hatte selbst im Turnier vier Boxerinnen auf die Bretter geschickt. So fühlt sich das also an, durchzuckt es sie. Ihr wird hoch geholfen. Die Siegerehrung, Gratulation und Umarmung, der Weg zur Garderobe, alles vollzieht sich für sie wie hinter Nebel.
Sie war so nah dran – und hat dennoch nichts in der Hand. Vorbei! Hat sich die ganze Mühe gelohnt? Mit gesenktem Kopf hockt sie in ihrer Garderobe, will gar nicht mehr aufstehen. Onkel Ma löst die Handschuhe, hält ihr die Hand, wischt hin und wider Tränen ab. Das Gefühl, ihren Vater enttäuscht zu haben, wird sie nicht los.

Die Siegerin gibt im Fernsehen ein Interview: Das Boxen sei ihr genauso wichtig wie das Singen. Sie sei erleichtert und danke ihren Fans, dass sie das akzeptiert und sie unterstützt hätten. Ihr sei wichtig, dass alle sie so wahrnehmen könnten, wie sie ist.
Dann geht sie ausführlich auf ihre Gegnerin ein: Xiao Ai sei für sie der eigentliche Star dieses Turniers und im Grunde auch des Finales. Aus dem Nichts sei sie gekommen, habe sich von Runde zu Runde gesteigert und ihre Kämpfe bis zum Finale dominiert. Ihre verbissene und starke Gegenwehr habe es ihr, Yang Yun, ermöglicht, ihr Können unter Beweis zu stellen und zu zeigen, dass das Boxen für sie keine kurzfristige Laune, sondern eine echte Obsession sei. Vor der Leistung ihrer Gegnerin empfinde sie Respekt, Sympathie für die Person, die sie kurz kennenlernen konnte.

Xiao Ai sitzt immer noch starr, als Yang Yun in ihre Garderobe kommt und sich besorgt erkundigt, wie es ihr gehe. Die kleinlaute Antwort „Geht so“ scheint sie zu beruhigen. Sie dankt ihr für den Kampf und kündigt an, sie werde sie in den nächsten Tagen im Café besuchen. Sie habe einige Vorschläge, die sie mit ihr besprechen wolle. Es werde ihr bald besser gehen.