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An der Herausfordrung wachsen, letzter Teil (deutsch)

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Offline erzähler

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An der Herausfordrung wachsen, letzter Teil (deutsch)
« on: February 07, 2024, 02:05:55 PM »
Aus einem Interview mit Xiao Ai:
Interviewerin: Was erwartest du dir von dem bevorstehenden Kampf?
Xiao Ai: Der erste zwischen Yang Yun mir hat – für mich völlig unerwartet – einen Hype ausgelöst. Plötzlich entsteht in der Öffentlichkeit eine Begeisterung für das Boxen. Gerade junge Frauen versuchen, sich aus dem traditionellen Frauenbild zu lösen und ein eigenes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Diese Entwicklung will ich durch meinen Kampf fördern. Und natürlich möchte ich werben für das Zentrum für Frauenboxen, das ich in den nächsten Wochen eröffnen werde.
Interviewerin: Und was erwartest du dir sportlich?
Xiao Ai: Yang Yun hatte mich im Finale k.o. geschlagen. Diesmal soll sie zu meinen Füßen liegen.
Interviewerin: Ihr beide sollt Freundinnen sein?
Xiao Ai: Wir haben einen Draht zueinander, arbeiten zusammen, helfen uns gegenseitig – ja, wir sind Freundinnen, oder vielmehr, wir fühlen uns als Schwestern. Das schließt aber eine sportliche Rivalität nicht aus. Ich will sie besiegen!
Interviewerin: Und wenn du wieder selbst auf dem Boden liegst?
Xiao Ai: Dann weiß ich, dass ich alles gegeben habe, was ich konnte. Dann war sie die Bessere. Es ist ein sportlicher Wettkampf, und da gehören Niederlagen dazu. Wer sich aber innerlich daran gewöhnt, sollte vom Wettkampf lieber die Finger lassen.
Interviewerin: Wovor hast du Angst?
Xiao Ai: Ich hätte Angst davor, mich zu blamieren, weil ich dann viele Menschen enttäuschen würde. Aber ich bin gut vorbereitet, es wird keine Blamage.

Aus einem Interview mit Yang Yun:
Interviewerin: Yang Yun, du bist ein internationaler Schlagerstar. Wieso muss es jetzt noch Boxen sein?
Yang Yun: Ich bin keine Kunstfigur, ich bei ein lebendiger Mensch mit allen seinen Widersprüchen. Durch das Boxen habe ich gelernt, vor Herausforderungen, die sich mir stellen, nicht davonzulaufen.
Interviewerin: Deshalb auch die Zusammenarbeit mit Xiao Ai?
Yang Yun: Sie ist in viel schwierigeren Verhältnissen aufgewachsen als ich. Sie ist damit umgegangen, ohne jemals ihre innere Freiheit zu verlieren. Als wir uns kennengelernt haben, stellte ich fest, dass wir sehr unterschiedlich sind und uns dennoch gut verstehen. Wir werden uns in den nächsten Jahren immer mehr wie Schwestern gegenseitig unterstützen und zusammen arbeiten.
Interviewerin: Du hast beim letzten Kampf, im Finale des Turniers, einen viel bejubelten Sieg erzielt. Fürchtest du nicht, diesmal zu verlieren und vor deinen Fans „das Gesicht zu verlieren“?
Yang Yun: Ich war froh, gewonnen zu haben, das erleichterte meinen Fans, mein Boxen zu akzeptieren. Aber ich werde nicht immer gewinnen, es wird auch Niederlagen geben. In jedem Fight gebe ich alles, um das zu verhindern. Das macht den Reiz des Kampfes aus. Meine Fans werden sich an diese Ungewissheit gewöhnen müssen.
Interviewerin: Welche Chancen gibst du deiner Gegnerin?
Yang Yun: Sie ist ein Riesentalent und hat in wenigen Monaten Training eine erstaunliche Stärke entwickelt. Im Finale musste ich mir meinen Sieg hart erarbeiten, und das wird diesmal nicht anders sein. Aber ich trete nicht in den Ring, um ihr den Sieg zu schenken.
Interviewerin: So wird es also wieder sehr spannend?
Yang Yun: Dafür wird Xiao Ai schon sorgen – und ich auch.

Ausgelassener Jubel herrscht in der Arena, als Xiao Ai und danach der Champion, Yang Yun, einlaufen. Fast ist es die freundliche Atmosphäre eines Volksfestes, ohne dass verbissen auf einen bestimmten Ausgang gesetzt wird. Und dennoch haben sich Fan-Blöcke gebildet, die jeweils „ihre“ Boxerin anfeuern. Xiao Ai hat es auf ca. 30% der Zuschauer (auch im Fernsehen) gebracht, und das ist nach so kurzer Zeit eine beachtliche Zahl.
Die Kontrahentinnen spüren diese Stimmung und klettern mit weniger Nervosität in den Ring. Ihre innere Spannung, notwendig für Konzentration und kämpferischen Willen, behalten sie aber bei. Beide haben sich vorgenommen, keine Rücksicht auf ihre Freundschaft zu nehmen. Am Ende des Kampfes wollen sie jeweils oben stehen, die Freundin zu ihren Füßen. Der Kampf soll über sechs Runden gehen, Zeit genug, den entscheidenden Schlag zu führen.
Die erste Runde zeigt beide Boxerinnen im Vorwärtsgang. Ihre offensive Mentalität übertragen sie auf ihre Fäuste, die den Treffer suchen, zugleich aber die Gegnerin abblocken wollen. Es entsteht ein Schlagabtausch, der hin und her geht und das Publikum mitreißt. Beide teilen aus, beide können Treffer nicht vermeiden. Am Ende der Runde wissen sie nicht, wer die meisten Punkte erreicht hat. Ist Yang Yun knapp im Vorteil? Xiao Ai ist sich nicht sicher.
Die Trainer müssen eingreifen und zur Vorsicht mahnen. Die Gegnerinnen gehen die zweite Runde deutlich vorsichtiger an, versuchen abzutasten, die Taktik der jeweils anderen zu stören, aus der Defensive heraus den Konter zu planen. Sie agieren ebenbürtig, sammeln Kräfte für die Dauer des Kampfes.
Die dritte Runde beginnt zunächst wie die zweite, doch schnell übernimmt Xiao Ai die Initiative. Ihr Angriff, ihre Kombinationen, die Körper- und Kopftreffer unerwartet miteinander verbinden, zwingen Yang Yun zurückzuweichen, bringen sie in Bedrängnis. Während Xiao Ai auf sie einprügelt, versucht sie, sich so gut wie möglich zu decken. Da sie dennoch einiges abbekommen hat, muss in der Pause Blut gestillt werden.
Zu Beginn der vierten Runde trifft Xiao Ai erneut ihre Gegnerin wirkungsvoll. Doch diese hat inzwischen die Taktik verstanden und schlägt zurück. Völlig überraschend läuft Xiao Ai in ihre Falle und steckt gleich mehrere Treffer ein. Jetzt wird auch sie vorsichtiger, schaltet einen Gang zurück. Auch wenn die Rollen wechseln, agieren beide Boxerinnen mit einer Dynamik, die die Zuschauer mitreißt. Die Lautstärke im Publikum spiegelt das Geschehen im Ring wider. Am Ende der Runde dringt Xiao Ai wieder zwei Mal durch die Deckung der Gegnerin.
Die fünfte Runde beginnt wieder vorsichtiger. Nach anfänglichem Abtasten „explodiert“ Yang Yun in der zweiten Hälfte der Runde, drängt die Gegnerin in die Ringecke, öffnet mit einer geschickten Kombination die Deckung, trifft den Kopf, der Schlag zeigt Wirkung, Xiao Ai wankt. Jetzt der Augenblick, schlag zu! - Sie zaudert einen Augenblick zu lang, Xiao Ai fängt sich, baut ihre Abwehr wieder auf, duckt sich und befreit sich aus der Ecke. Mit weiteren Angriffen kommt Yang Yun nicht mehr durch.
Ich wollte doch keine Rücksicht nehmen, schimpft Yang Yun mit sich selber, eine Ermahnung des Trainers ist nicht mehr nötig. Die k.o. Chance hat sie verspielt, und sie ist sich nun nicht mehr sicher, ob sie nicht froh darüber sein soll. Xiao Ai hängt dagegen auf ihrem Hocker und kämpft mit den Wirkungen des Treffers. Das hat reingehauen, und sie spürt, dass sie nichts mehr entgegen setzen kann, dass sie verloren hat. Während das Blut gestillt wird und ihr Vater auf sie einredet, denkt sie nur: Stehen bleiben! Bleib auf deinen Beinen!
Und die sechste Runde wird ihr verflucht lang. Während Yang Yun auf sie einschlägt, als wolle sie ihren Fehler wieder gutmachen, versucht Xiao Ai, so gut es geht, sich vor den Schlägen zu schützen. Das Publikum spürt ihre Lage und feuert sie lautstark an, peitscht sie nach vorne. Als endlich der Gong ertönt, fällt sie erschöpft und glücklich in die Arme der Gegnerin.
Yang Yun und Xiao Ai Arm in Arm, das ist das Bild, das das Publikum begeistert, beide ausgepowert, beide gezeichnet vom Kampf, aber überglücklich über den intensiven Fight und die Freundschaft, die jetzt wieder in den Vordergrund rückt. Dass der Sieg nach Punkten an die Erfahrenere, die Sängerin geht, das Geld aber, wie abgesprochen, an Xiao Ai und ihr Studio, all das spielt keine Rolle, als sich beide Boxerinnen im Applaus des Publikums baden. Vor laufender Kamera stehen sie in Siegerpose, zeigen ihre Muskeln – beide! Xiao Ai hat ihre zweite Niederlage erlitten, aber sie fühlt sich nicht als Verliererin. Und wenn ihr gemeinsamer Plan gelingt, wird Sieger des Kampfes der Frauenboxsport sein.

Xiao Ai und Yang Yun Hand in Hand, das ist zwei Wochen später bei der offiziellen Eröffnung des „Zentrums für Frauenboxen“ (kurz: „Studio Zhao“) das Bild, das sich einprägt, nicht nur in der Öffentlichkeit und den Medien, die dieses Foto schießen, sondern vor allem bei den Mitgliedern und Interessentinnen. Wie erwartet, hatte der zweite Kampf den Hype vergrößert, und das Studio, das bisher einen Dornröschenschlaf hielt, platzt förmlich aus allen Nähten. In den letzten Monaten wurde es modernisiert, kleinere Umbauten waren notwendig, und dennoch behielt es – mit seiner Lage auf einem Hügel mit Blick auf das Meer – die Atmosphäre des Improvisierten, Unvollkommenen, das erst durch die trainierenden Frauen zum Leben erwacht.
Herr Zhao ist immer noch Besitzer des Studios, aber seine Tochter leitet das Unternehmen. Die Aufgabe des Cheftrainers hat Yang Yuns Trainer übernommen, der ja intensive Erfahrungen mit dem Frauenboxen vorweisen kann. Yang Yun und Xiao Ai trainieren im Studio und helfen dabei, andere zu trainieren, wenn ihre Zeit es zulässt.
Die Angebote des Studios sprechen unterschiedliche Interessen an: Techniken der Selbstverteidigung, Boxen als Fitnesstraining sowie als Sport und Vorbereitung auf Wettkämpfe. Yang Yun und Xiao Ai werden zu Idolen und Vorbildern für nachrückende Talente.
Hand in Hand gehen die zwei Boxerinnen einer ungewissen, aber erfolgversprechenden Zukunft entgegen.

(Damit ist meine Erzählung zu Ende. Ich möchte aber noch kurz darstellen, wie ich mir die weitere Entwicklung vorstelle:)

Xiao Ai gelingt es in relativ kurzer Zeit, das Studio schuldenfrei zu machen. Das Angebot findet großen Anklang, sodass die Geschäfte zunächst reibungslos laufen. Durch die Corona-Epidemie gerät das Studio noch einmal in Schwierigkeiten, kann aber anschließend an den vorangegangenen Erfolg anknüpfen.
Herr Zhao, sowieso gesundheitlich angeschlagen, überlebt die Epidemie nicht, für Xiao Ai ein unersetzlicher Verlust. Dennoch helfen ihr die inzwischen enge Freundschaft zu Yang Yun und die Leitung des Studios, das nun ihr gehört, mit der Trauer umzugehen.
Beide Freundinnen führen keinen Boxkampf mehr gegeneinander, organisieren aber etwa alle sechs Monate ein Box-Event, in dem sie gegen andere – namhafte – Boxerinnen antreten, in der Regel sehr erfolgreich, was ihrem Studio zusätzlich hilft. Xiao Ai ist inzwischen die bessere und erfolgreichere der beiden, weil Yang Yun ihre Zeit zwischen Gesang und Boxen teilt. Sie empfinden aber keine Konkurrenz, sondern unterstützen sich gegenseitig. Yang Yun bleibt ein wichtiger Werbeträger für das Studio.
Einige Zeit nach dem Tod ihres Vaters lernt Xiao Ai einen nur wenige Jahre älteren Mann kennen, der in einer Schule Biologie unterrichtet und sich – ohne an Wettbewerben teilzunehmen – in chinesischen Kampftechniken auskennt. Die beiden bringen sich gegenseitig Techniken bei und haben ihr Vergnügen daran, miteinander kleine Kämpfe auszutragen. Ihr Verhältnis ist – im guten und lebendigen Sinn – sehr körperlich. Beide wollen demnächst heiraten, warten aber noch mit der Familienplanung, um Xiao Ais Boxkarriere nicht zu gefährden. Er ist bereits in ihre Wohnung im Boxstudio eingezogen.
Yang Yun und ihr – ebenfalls wenige Jahre älterer – Trainer kommen sich immer näher, sind sich aber immer noch unsicher, wo genau sie auf der Skala zwischen Kameradschaft und Liebe stehen. Eine Ehe ist noch nicht in Sicht. Dennoch ist ihr Trainer ebenso wie die Freundin für Yang Yun der Ruheanker, der ihr hilft, Probleme zu bewältigen und das Leben selbstbewusst anzugehen.
Die Treffen mit ihrer ehemaligen Schulfreundin finden inzwischen seltener statt, sind aber nicht eingeschlafen. Nur sehr langsam kommen sich beide Frauen näher, wollen aber dennoch nicht auf die gemeinsamen Gespräche verzichten.
Xu Jia wurde angeboten, im Studio ein Café zu eröffnen, doch sie hat abgelehnt. Sie hat einen neuen Freund kennengelernt und ist weggezogen. Xiao Ai ist mit ihr weiterhin in einem engen Mail-Kontakt.

(Jetzt noch einiges zur Quelle und zu meiner Motivation:
Der chinesische Spielfilm, auf den ich mich beziehe, hat den (äußerst unpassenden) Titel „Wild Girls“ und stammt aus dem Jahre 2018 (im Internet mit englischen Untertiteln). Die Charaktere der Protagonistinnen haben mich sofort angesprochen. Seitdem beschäftige ich mich innerlich immer wieder mit ihnen.
Sehr unbefriedigend fand ich das offene Ende, das nicht zeigt, wie das Finale ausgegangen ist. Die Schlusseinstellung des Kampfes (Beide Boxerinnen liegen am Boden und lächeln sich an) und zwei Schlusssequenzen des Films, die ebenfalls rein symbolisch verstanden werden können, deuten an, dass zwischen beiden Frauen eine tiefe Freundschaft entsteht und sie sich gegenseitig bei der Bewältigung ihrer Ängste helfen. Wie es genau dazu kommt, wird (abgesehen vom Gespräch einen Tag vor dem Finale) nicht dargestellt. Das hat mich aber gerade dazu bewogen, die Geschichte weiter zu entwickeln und das Verhalten der Frauen zu motivieren.
Natürlich würde ich mich über Kommentare freuen. Das bezieht sich auch auf meine anderen Geschichten.)